Als Bertolt Brecht 1929/30 seine HEILIGE JOHANNA DER SCHLACHTHÖFE verfasste, stand er ganz unter dem Eindruck des New Yorker Börsencrashs, der sich anschließenden Weltwirtschaftskrise und der verheerenden Folgen, die der Zusammenbruch der Märkte für die Menschen, besonders aber für die Arbeiterklasse hatte.
Drei Jahrzehnte später wurde das Drama schließlich in der Inszenierung von Gustaf Gründgens erstmalig auf einer Bühne gezeigt. Damals konstatierte Theaterkritiker Johannes Jacobi in Die Zeit: „Dieses „Zeitstück“ sei tot, veraltet der politische Gehalt, das geschilderte Elend gebe es nicht mehr. Glückliche Wirtschaftswunderzeit.“
Und heute? Spätestens seit im Laufe der Coronapandemie eine Masseninfektion eher zufällig die katastrophalen Arbeitsbedingungen in einem der größten Betriebe – ausgerechnet! – der Fleischverarbeitungsindustrie Europas in den öffentlichen Blickpunkt rückte, müssen wir fassungslos feststellen: Nichts an Brechts Text ist tot. Nichts daran ist veraltet. Und das Elend ist wieder, ist immer noch da. Entwürdigende Abhängigkeitsgefüge. Moderne Lohnsklaverei. Und wenn Brecht seinen Mauler Mitleid mit dem armen Schlachtvieh heucheln lässt, während er in Wahrheit mit seinem Handeln rein wirtschaftlichem Kalkül folgt, erkennen man in diesem hundert Jahre alten Stück schon die perfide Mechanik des Greenwashings, mit dem sich Unternehmen aktuell gerne einen verantwortungsbewussten, nachhaltigen Anstrich verleihen.
Natürlich ist das Territorium, auf dem sich der Stoff bewegt, aber ohnehin viel größer: Wie die scheiternde Heldin Johanna Dark sehen wir uns als Gesellschaft mit den Fragen danach konfrontiert, ob man die Brotkrumen vom Tisch des Feindes essen soll, ob der Zweck die Mittel heiligt und wie weit Kompromissbereitschaft im Kampf um Veränderung zum Besseren gehen soll?
Für die Inszenierung verantwortlich ist Bérénice Hebenstreit, Kostüm und Bühne übernimmt Mira König; ein Team, das schon einige Produktionen für das Landestheater auf die Bühne gebracht hat, bspw. WIR REDEN ÜBER POLKE, DAS SIEHT MAN DOCH! in der vergangenen Saison.
Schon vor der Premiere der HEILIGEN JOHANNA DER SCHLACHTHÖFE umweht das Haus allerdings ein Brecht’scher Wind – bereits am 3. September startet das Landestheater mit dem Eröffnungskonzert SO WIE ES IST, BLEIBT ES NICHT, Songs und Gedichte von Bertolt Brecht, in die Spielzeit 2022/23.
SO WIE ES IST, BLEIBT ES NICHT – Songs und Gedichte von Bertolt Brecht
3. September, 19.30 Uhr, Großes Haus (Eröffnungskonzert / Eintritt frei)
DIE HEILIGE JOHANNA DER SCHLACHTHÖFE – Bertolt Brecht
Premiere am 17. September, 19.30 Uhr, Großes Haus
Vorstellungen am Di 20.9. / Sa 24.9. / Fr 30.9. / Mi 19.10., 19.30 Uhr und So 16.10, 17.00 Uhr, Großes Haus
Mit Vivienne Causemann, Luzian Hirzel, Maria Lisa Huber, Sebastian Klein, David Kopp, Nico Raschner, Jürgen Sarkiss, Inszenierung Bérénice Hebenstreit