Wenn in der letzten Festspielwoche die Sonne schon ein paar Minuten früher hinter der Seebühne versinkt, hebt sich in den anderen Spielstätten des Festivals der Vorhang für zwei außergewöhnliche Premieren: Im Theater am Kornmarkt zeigen die jungen Sängerinnen und Sänger des Opernstudios ihr Können, auf der Werkstattbühne begibt man sich experimentierfreudig auf die Spuren der Melancholie.
Zauberhafte Armida „Man sagt, es seye bishero mein bestes Werk“, schrieb Joseph Haydn stolz wenige Tage nach der Premiere 1784 über seine Oper Armida. Tatsächlich wurde sie zu seinem erfolgreichsten Bühnenwerk – kein Wunder, beinhaltet das Stück doch alle Zutaten, die es für spannende Unterhaltung braucht: eine scheinbar unmögliche Liebe, magische Kräfte und dazu großartige Musik, die die Handlung raffiniert untermalt. Basierend auf dem rund 200 Jahre älteren Vers-Epos Das befreite Jerusalem von Torquato Tasso erzählt Armida die Geschichte der fatalen aber umso leidenschaftlicheren Liebe zwischen der sarazenischen Zauberin Armida und dem eigentlich verfeindeten Kreuzritter Rinaldo, der ob seiner Gefühle kampfunfähig wird und zwischen Leidenschaft und Pflicht hin- und hergerissen ist.
Nicht nur die Figuren der Geschichte erleben in Armida ein wahres Wechselbad der Gefühle, auch in der Musik lässt Haydn die Emotionen aufeinanderprallen. „Haydn verfügt über ein untrügliches Gespür für Dramatik, ein großartiges Verständnis für die menschliche Stimme und einen unglaublichen Einfallsreichtum. Jeder Takt steckt voller verborgener Juwelen“, beschreibt Dirigent Jonathan Brandani die Oper. Gemeinsam mit den jungen Sängerinnen und Sängern des Opernstudios wird er Armida diesen Sommer bei den Bregenzer Festspielen auf die Bühne bringen. Regie führt Jörg Lichtenstein, der das Festspielpublikum schon in der Vergangenheit mit seiner Fantasie und Leichtigkeit begeisterte: Nach den zwei Mozart-Opern Così fan tutte und Die Hochzeit des Figaro ist Armida seine bereits dritte Inszenierung für das Bregenzer Opernstudio. Premiere ist am 15. August 2022.
Neues und Vertrautes Ein Stück „moderne Magie“ gibt es diesen Sommer auf die Werkstattbühne zu erleben: In Melencolia experimentiert die Komponistin Brigitta Muntendorf mit künstlicher Intelligenz, spielt mit digitalen Avataren und geklonten Stimmen. Im Zentrum der Uraufführung steht namensgeben die Melancholie. Das Musiktheater erkundet die unterschiedlichen und widersprüchlichen Zuweisungen, die diese Gemütsstimmung im Laufe der Jahrhunderte erfuhr – von der körperlichen Krankheit über die Möglichkeit zur Überwindung irdischer Leiden bis hin zur Schwester der Genialität. Ihr Publikum bettet Brigitta Muntendorf dafür in eine umfassende 3D-Klanglandschaft und lässt die Besucherinnen und Besucher durch das Ensemble Modern von einem Strom aus instrumentalen und elektronischen Klängen umspielen.
Was etwas abgefahren klingt, ist eigentlich „alles recht menschlich geworden“, so die Komponistin. Dass zeitgenössische Werke für viele Menschen mit Berührungsängsten verbunden sind, ist ihr durchaus bewusst. „Ich arbeite in meiner Musik mit Referenzen – mit Material, das uns vertraut erscheint, das in meiner Musik aber ein Eigenleben entwickelt. Ich betrachte das „Neue“ immer als eine Umdeutung bestehender Bedeutungen“, beschreibt sie ihren Stil. Vielleicht sei das auch der Grund, weswegen sie die Erfahrung gemacht habe, dass Menschen zu ihrer Musik recht leicht Zugang finden. Wer es also einmal mit Zeitgenössischem versuchen möchte – am 18. August 2022 feiert Melencolia bei den Bregenzer Festspielen Premiere.