Sophie Calle – Was bleibt, und Sammlung Selinka – Lebensgefühl Landschaft
Mit der Einzelausstellung »WAS BLEIBT« zeigt das Kunstmuseum Ravensburg nach 15 Jahren eine der umfangreichsten Werkschauen der renommierten französischen Konzeptkünstlerin Sophie Calle (*1953) in Deutschland. Anhand von sechs Werkserien mit Arbeiten von 1986 bis 2019 rückt die Ausstellung das Abwesende und dessen Weiterleben in der Erinnerung in den Mittelpunkt.
Sophie Calle ist eine virtuose Erzählerin, die ihre Geschichten im Spannungsfeld von fotografischem Bild und Text ausbreitet und die Imaginationskraft des Betrachters einbindet. Ihre Werke sind Dokument und Fiktion zugleich. Sie laden ein zu Neugier, Empathie und Selbstbefragung.
Die verschiedenen Werkgruppen verhandeln existentielle Themen wie Tod, Verlust, Trauer, familiäre Beziehungen, Blindheit und Geschichtskultur und lenken den Blick auf das Verschwundene und dessen Fortbestehen in der Erinnerung. Dabei thematisieren die präzise inszenierten Gegenüberstellungen von Fotografie und Text sowohl Sophie Calles eigenes Leben als auch das der Anderen und machen weder vor der persönlichen noch der fremden Intimsphäre halt. Bereits in den frühen 1980er-Jahren wurde Sophie Calle durch ihre Bild- Text-Kombinationen bekannt, in denen sich die Grenzen zwischen Kunst und Leben, privat und öffentlich auflösen. Aktuelle Debatten des digitalen Zeitalters zur Imagekonstruktion und zum Verschwimmen von Realität und Fiktion hat sie mit ihren Arbeiten vorweggenommen. Ausgangspunkt ihrer Werkserien sind akribische Recherchen, gesellschaftliche Beobachtungen, Interviews und autobiografische Fragestellungen. Die gesammelten und inszenierten Spuren verknüpft Calle mittels Bild und Text zu eindrücklichen Erzählungen, die durch die inneren Bilder und Assoziationen der Betrachter weitergeführt werden.
Gabriele Münter, Karl Schmidt-Rottluff, Max Pechstein, Lyonel Feininger, Erich Heckel und Andreas von Jawlensky: Die dörfliche Landschaft als unmittelbarer Lebensraum steht im Zentrum der im Sammlungsraum präsentierten expressionistischen Werke aus der Sammlung Selinka. Die Malereien und Druckgrafiken von Gabriele Münter, Karl Schmidt-Rottluff, Max Pechstein, Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Lyonel Feininger zeugen von der Bedeutung der Landschaft und der abgeschiedenen Dörfer als Inspirationsquelle für die Künstler. Fernab von Dresden, Berlin oder München bildeten die Landaufenthalte den ersehnten Ausgleich zur städtischen Umgebung und wurden zum produktiven Rückzugsort.
Gabriele Münter (1877–1962) gehörte mit Wassily Kandinsky, ihrem Lehrer und späteren Lebensgefährten, zu den Gründungsmitgliedern der Künstlergruppe »Der Blauer Reiter«. 1909 erwarb Münter in Murnau am Staffelsee ein Haus, um auch außerhalb Münchens im bayrischen Voralpenland arbeiten zu können. Vier Gemälde lassen ihre Entwicklung zu einer Malweise nachvollziehen, die nicht mehr dem Vorbild der Natur, sondern dem subjektiven Eindruck folgte. 1911 schrieb Münter in ihr Tagebuch: »Ich habe dort nach einer kurzen Zeit der Qual einen großen Sprung gemacht – vom Naturabmalen (…) – zum Fühlen eines Inhalts, zum Abstrahieren – zum Geben eines Extrakts.«
Auch die Mitglieder der Künstlergruppe »Brücke« (1905–1913) fanden auf dem Land künstlerische Anregung und neue Motive. 1909 erkannte Max Pechstein in dem Fischerort Nidden auf der Kurischen Nehrung sein ersehntes Malerparadies. Sein Gemälde »Fischerhäuser in Nidden« (1919) lenkt den Blick auf das Dorf bei abendlicher Stimmung und aufkommendem Gewitter, während Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976) in dem atmosphärischen Aquarell »Bei Nidden« (1913) die im Licht der Abendsonne erstrahlende Landschaft zeigt. Auch Erich Heckel (1883–1979) setzt die Naturgewalt des Sturms während eines Aufenthalts in Hiddensee in seinem Farbholzschnitt »Weiße Pferde« (1912) mit kompositorischen Mitteln und abstrahierter Formensprache eindrucksvoll ins Bild. Von Heckel und Schmidt-Rottluff, die den Holzschnitt als zeitgemäße Ausdrucksform wiederbelebt hatten, erhielt Lyonel Feininger wichtige Impulse. Holzschnitte wie »Daasdorf« (1918), in dem der gesamte Bildraum prismatisch zerlegt ist, zeugen von den thüringischen Dörfern als Inspirationsquelle und der Fähigkeit, die dörfliche Landschaft in ein expressives Stimmungsbild zu überführen.
www.kunstmuseum-ravensburg.de
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